Klara sitzt in ihrem Sessel und schaut aus dem Fenster. Der Regen prasselt gegen die Scheiben, aber ihr Blick ist weit weg.
Dann wendet sie den Blick, schaut sich im Raum um. Da sind sie ja, ihre Lieben.
„Meinst du, es ist wieder eine Serie?“, will sie von Henna wissen. Henna antwortet nicht. Sie wiegt ihren Kopf hin und her.
„Ich weiß nicht“, soll die Geste von Henna bedeuten. „Ja, ich glaube schon.“
Dann erzählt Klara: „Konrad ging es nicht gut. Er krächzte ziemlich laut und war auch nachts unruhig. Häufig weckten mich seine Geräusche auf. Nun war er mit seinen 20 Lenzen auch nicht mehr der Jüngste. Ab und zu fror er. Er tat mir so leid. War er doch eine so treue Seele. Trotz seines Röhrens fraß er alles auf, was ich ihm zu essen gab.“
„Der Doc hatte nur noch den Kopf geschüttelt“, fährt sie nach einer kurzen Pause fort. „Ich muss Konrad mitnehmen. Hier kann ich ihm nicht helfen.“
Tröstend fühlte Klara Hennas Hand auf ihrem Arm. „Du hast ihn nun schon so lange. Natürlich tut das weh. Tut es jedes Mal. Ich verstehe dich.“
Konrad kam nicht wieder zurück nach Hause.
„Eigentlich fing es mit Hotte an“, erzählt Klara weiter.
Mucksmäuschen still war er geworden, fraß auch nicht mehr. Es war das Herz, war die Diagnose des Docs. Er bekam einen Defi-brillator – oder wie das Ding heißt – implantiert und war wieder topfit.“
Sie lächelt und schaut Hotte liebevoll an, der aufmerksam zuhört.
„Du machst im Augenblick viel mit. Stimmts?“, reagierte Henna verständnisvoll. „Aber statt sich Sorgen zu machen und Ängste zu entwickeln, sollten wir da nicht besser versuchen gelassener zu sein? Insbesondere bei Dingen, die wir nicht ändern können. Wir wissen doch, dass alles im Leben endlich ist, oder?“
Klara seufzt. In Gedanken geht sie einige Jahre zurück, versucht, sich zu erinnern, als ihre Lieben noch jung waren.
„Klara, die sonst so klar(a) ist, hängt in den Seilen“, gibt Henna mitfühlend zurück und setzt dennoch ein aufmunterndes Lächeln auf.
„Dann kam Kurt.“, berichtet Klara weiter. „Er steht dort drüben und sieht richtig süß aus, nicht wahr? Außerdem ist er noch jung, spritzig und er hilft mir über Konrad hinwegzukommen.“
Sie sieht liebevoll zu Kurt und will ihn streicheln, doch dazu müsste sie aufstehen – sie lässt es.
„Ich habe mich so sehr an sie gewöhnt. Ist das so egoistisch?“, Klara schaut aus dem Fenster. Was mochte sie wirklich denken, fragt sich Henna und nippt an ihrem Kaffee.
„Der nächste in der Serie war Sputnik“, geht es weiter. „Er wurde unsauber, sehr unsauber. Nahm sein Fressen nicht mehr an. Sein Schlund ging auf und wieder zu. Das war’s.“
Klara ist den Tränen nahe, nimmt ein Taschentuch, das auf dem Tisch liegt und schnäuzt sich.
„Es war sein Kolon, der Darm, hatte der Doc konstatiert. Zudem war seine Speiseröhre entzündet.“ Nun fließen bei ihr die Tränen. Sie schluchzt hemmungslos in ihr Taschentuch.
Henna steht auf, nimmt sie in den Arm und wiegt sie wie ein Kind, bis sie sich wieder beruhigt hat.
„Sputnik kam auch nicht wieder nach Hause. Um mich zu trösten, der Doc verstand meinen Kummer, brachte er mir Spike. Er, schwarz-weiß, entpuppt sich als sehr temperamentvoll, bringt die anderen auf Trab, besonders Kurt. Spike war ihm zugelaufen. Jedenfalls sagte der Doc das.“
Langsam beruhigt sie sich und ihre Augen leuchten wieder, als sie Hotte, Kurt und Spike ansieht, die es sich in der Küche eingerichtet haben und aufmerksam zuhören.
„Inzwischen frage ich mich, ob der Doc an mir verdienen will. Wie die Ärzte, die mit immer neuen IGLE-Leistungen daherkommen. Es ist doch leicht, einem Unbedarften und Laien etwas weiß zu machen. Meine Liebsten sind letztlich nicht mehr die Jüngsten. Allerdings“, überlegt Klara, „wird man bei alten Menschen keine Organe mehr entnehmen. Organspende, meine ich.“
„Schätzchen“, sagt Henna leise. „Letztens hattest du mir noch erzählt, dass ihr miteinander gescherzt und gelacht hattet. Du hattest für ihn sogar einen Kuchen gebacken.
Klara macht eine wegwerfende Handbewegung und zieht eine Grimmasse.
„Darauf antworte ich nicht“, ist ihr Kommentar.
Sie überlegt. „Der beste Gag war, dass der Doc meinen Kuchen gar nicht mochte. Er stand nicht auf süße Sachen“.
„Du hast ja keine Ahnung“, klagt sie weiter. „Die Geschichte geht ja noch weiter. Allmählich glaube ich, dass es an mir liegt. Mit mir stimmt etwas nicht … Vielleicht kümmere ich mich nicht genug. Vielleicht pflege ich sie nicht richtig. Vielleicht meinen es die Geister nicht gut mit mir …“.
„Unsinn“, Henna schüttelt den Kopf. Aber Klara hört gar nicht zu und erzählt weiter.
„Der Rechtsanwalt, den ich aufgesucht hatte, machte mir klar, dass eine Mordanzeige völlig aussichtslos sei.
Das Schicksal kann ein Arschloch sein.“
Klara redet sich weiter den Frust von ihrer Seele: „Theo will jetzt ins Schlafzimmer ziehen und keinen Kontakt mehr zu den anderen. Er hat Angst, es könnte ihn auch erwischen. Er soll bald ein Geschwisterchen bekommen. Ich glaube das macht ihm auch zu schaffen. Doch es muss sein.
Rocky lebt im Keller. Dort ist es kalt, was ihm nicht guttut. Ich habe ihm ein Heizkissen und Decken hingelegt, damit er nicht friert. Um die beiden mache ich mir ziemliche Sorgen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“ Sie blickt bekümmert.
Klara stellt ihre Kaffeetasse, die sie gerade noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Sie steht auf, geht zum Schrank, auf dem die Wochenzeitung „Schöner Sonntag“ liegt. Sie schlägt die letzte Seite auf, dreht sich zu Henna um und sagt: „Ich habe ein Inserat geschaltet.“
Sie liest vor: „Wir haben Abschied genommen von…“
Da klopft es an der Türe und schon steht Schwester Ina im Zimmer.
Klara sitzt auf ihrem Bett, ein Tablet auf ihren Knien.
„Klara, sprichst du wieder mit deiner imaginären Henna? Das Essen ist fertig. Die anderen Patienten warten bereits auf dich.
Wovon hast du Abschied genommen?“
Klara liest vor:
Wir haben Abschied genommen von
Konrad, unserem Kühlschrank
Sputnik, unserem Geschirrspüler
Wir, das sind
Klaus, der Toaster
Hotte, der Küchenherd
Kurt, der neue Kühlschrank
Spike, der neue Geschirrspüler
Theo, der ältere Fernseher
Power, der neue Fernseher
Rocky, der noch immer kranke Trockner
und die Lütten Lena, die Stereoanlage und Mausi, das Radio
„Zu jedem Namen habe ich ein Foto hinzugefügt.“
Dann folgt sie der Pflegerin in den Speiseraum.
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